Samstag, 16. Januar 2010

Verlage als Ermöglicher von interpersoneller Kommunikation

Früher war medial alles so einfach: Wollte man sich informieren oder unterhalten, gab es das System Massenmedien mit Print und Rundfunk, das entweder öffentlich-rechtlich (Stichwort: Landesrundfunkanstalten) oder privatwirtschaftlich-familiär (Stichwort: Verlegerfamilien) organisiert war. Für die persönliche Kommunikation nutzte man den Brief und das Telefon, natürlich von der Deutschen Post. Beide Welten waren getrennt, nur in Ausnahmefällen schickte man beispielsweise Leserbriefe an einen Verlag.

Dann wurde plötzlich alles anders: Das Internet brach die starren, verwurzelten Abgrenzungen der massenmedialen (von einem Kommunikator an ein disperses Publikum vermittelte) Kommunikation und der interpersonellen (zwischen einzelnen Menschen stattfindende) Kommunikation auf. Plötzlich nutzte man den selben Kanal, um eine “massenmediale” Nachrichten zu erhalten und eine persönliche zu versenden. Diese Konvergenz der früher weitestgehend getrennten Kommunikationsformen ist in den letzten Jahren immer stärker hervorgetreten. Das zeigt sich heute z. B. am User Generated Content, der weder dem einen, noch dem anderen Bereich trennscharf zugeordnet werden kann.

Gerade aus diesem Grund scheint die interpersonelle Kommunikation zunehmend wichtiger zu werden. Robin Meyer-Lucht beschreibt diesen Trend in der Wochenzeitung “Freitag” und bezieht sich dabei auf die Ergebnisse der ACTA 2008:
Noch bedrohlicher aber für die alten Medienindustrien ist der Wandel der Informationskulturen durch das Internet. Die Menschen informieren sich online verstärkt anlass- und ereignisgetrieben. Die habituelle Nutzung von Publikationen nimmt ab. Die Nutzer reagieren auf die Informationsvielfalt mit einer Verengung ihres Interessenspektrums. Zugleich gewinnt das persönliche Umfeld als Ursprung von Informationen an Bedeutung: Nachrichten lesen über Leute, die man kennt - das betrifft dank sozialer Netzwerke zunehmend direkte Freunde und seltener Massenmedienprominente.
Dabei ist insbesondere der letzte Satz von alarmierender Brisanz: Wenn nämlich interpersonelle Kommunikation in Zukunft gegenüber dem passiven Medienkonsum für den Einzelnen noch größere Relevanz gewinnt, geraten Verlage, deren Kerngeschäft eben die Verbreitung dieser öffentlichen Kommunikation ist, weiter unter Druck. Der Boom um Mobiltelefone, Social Network Sites und der Drang zur permanenten Konnektivität zu den eigenen, sozialen Beziehungen dürften hierfür Beleg genug sein.

Anstatt also den regionalen Artikel über den Autounfall eines Unbekannten zu lesen, beobachten die Nutzer vielleicht in Zukunft lieber die Statusmeldungen ihrer “Social Network-Freunde”. Der aktuelle Klatsch und Tratsch aus Hollywood ist möglicherweise eine lahme Nummer im Vergleich zu den neusten Gerüchten, die mittels persönlicher Nachrichten ausgetauscht werden. Das Management der eigenen Beziehungen kann zukünftig wichtiger werden als der redaktionelle Leitartikel in der Printausgabe.

Um es auf den Punkt zu bringen: Was passiert, wenn Journalismus und redaktionelle Arbeit für die Menschen schlicht unwichtiger werden? Das soll hier weder behauptet, noch bewertet oder kritisch diskutiert werden — Verlage müssen dies aber thematisieren, wenn sie sich in Zukunft nicht nur zum Verkäufer von Buchreihen oder Wein diversifizieren wollen. Ironisch verweist Publishing 2.0 in diesem Kontext darauf, dass sich nach Meinung mancher Experten Zeitungsverlage so verändern sollten, dass sie am Ende des Tages keine Zeitungsverlage mehr sind (“And if they become ad agencies, then newspapers really aren’t newspapers anymore, are they?”). Wenn Verlage also in Zukunft noch nahe an Kommunikation bleiben wollen, müssen sie vielmehr ihr Verständnis von Kommunikation im linear-vermittelten Massenkonzept überdenken und über das Selbstverständnis des Kommunikators hinaus erweitern — nämlich zum (gleichzeitigen) Ermöglicher der interpersonellen Kommunikation anderer.

Zum Teil passiert das schon: Offline sind die Verlage letztes Jahr grandios mit der PIN-AG am Post-Mindestlohn der Großen Koalition gescheitert. Da war der Gegner, die Deutsche Post, aber auch eine Nummer zu groß und das Vorhaben — in Deutschland Post zu verteilen — mehr als herausfordernd. Man sollte meinen, im Internet sollte das vergleichsweise einfacher sein. Doch überall dort, wo Verlage versuchen, vom Kommunikator zum Kommunikationsdienstleister zu werden, geschieht dies durch M&A-Strategien. Verlage kaufen Start-ups wie StudiVZ, die nicht monetarisiert werden können oder offensichtliche Schwächen mit sich bringen. Auch Whitelabellösungen sind immer nur bedingt Zugpferde.
Dabei gibt es heute auch andere Möglichkeit, sich als Ermöglicher von Kommunikation zu positionieren. Zum Beispiel im Dunstkreis der eigenen redaktionellen Angebote oder durch eine Community von lokalem Wert, die in enger Verbindung zum Verlag bzw. zur Tageszeitung gesehen wird. Verlage können es schaffen, Menschen zusammezubringen, die sich vorher nicht kannten und somit neue zwischenmenschliche Kommunikation und Beziehungen schaffen.

Letztlich ist es an den Verlagen, ihr Selbstverständnis zu überdenken. Das beginnt in der Redaktion und zieht sich bis in die Führungsetagen. Verleger müssen definieren, was sie in Zukunft sein wollen — denn als rein linearer Kommunikator wird es schwer werden, erfolgreich zu bleiben.

Zu erst veröffentlicht am 08. Dezember 2008, 15:24 Uhr auf Zeitungsperspektiven.de

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