Dienstag, 18. Mai 2010

Change Management in Tageszeitungsredaktionen

In der vergangenen Woche hatten Catherina Dürrenberg, Carsten Winter und ich die Möglichkeit, unsere Forschungsarbeiten zum Thema "Change Management in Tageszeitungsredaktionen" bei der 55. DGPuK Jahrestagung 2010 "Medieninnovationen" in Ilmenau vorzustellen. Das positive Feedback und die Anregungen, die wir hier erhielten, haben uns darin bestärkt, den Vortrag mit weitergehenden Notizen auch auf MUKE zu veröffentlichen.

Notizenübersicht
zu Folie 2: Medienunternehmungen, insbesondere Tageszeitungsverlage, befinden sich in turbulenten Zeiten. Zunehmende Konkurrenz durch technologischen Fortschritt und Marktveränderungen, neuartige Mediennutzungsverhalten und eine wirtschaftliche Rezession modifizieren die Bedingungen, unter denen diese Unternehmungen im Wettbewerb agieren können. Die intendierte Veränderung von Medienunternehmungen – Change Management – macht dabei selbst vor Tageszeitungsredaktionen, die von wirtschaftlicher Seite lange Zeit als unantastbar galten ("Chinesische Mauer" zwischen Unternehmung und Redaktion; Wyss, 2004, S. 315), keinen Halt mehr.
Die (deutschen) Medien- und Kommunikationswissenschaften haben dem Ablauf und Management dieser redaktionellen Veränderungsprozess bisher jedoch relativ wenig Aufmerksamkeit gewidmet (Achtenhagen: "persisting lack"). Sowohl für die Zukunft von Unternehmungen und Arbeitsplätzen, als auch für den Fortbestand von Verlagen, ihren (Zeitungs-)produkten und insbesondere Journalismus in einer demokratisch-pluralistischen Zivilgesellschaft ist dies jedoch von großer Relevanz. ↑ nach oben

zu Folien 3 bis 5: Um Change Management in Tageszeitungsredaktionen in der gebotenen Komplexität darstellen zu können, bedarf es eines dualitären, prozessualen Verständnisses von Organisationen und ihrem Wandel über eine Redaktionsbetriebslehre hinaus. Auf Basis der Strukturationstheorie Anthony Giddens‘ (1984) haben wir einen integrativen Theorierahmen entwickelt, der Change Management in der Spielmetapher nach Crozier und Friedberg (1979) als Irritationsprozess zwischen Innovations-, Projekt- und Routinespielen konzeptualisiert (Becker, 1996; Ortmann, Sydow & Windeler, 2000). Unternehmungen werden hier als final nur begrenzt steuerbar angesehen (vgl. Ortmann & Sydow, 2001, S. 442), was Change Management vor umfangreiche Herausforderungen stellt. Dem Prinzip der Ko-Orientierung zwischen Journalismus und Medien folgend (vgl. Altmeppen, 2006) beschreiben wir Redaktionen unter Rekurs auf neuere Theoriearbeit der Redaktionsforschung (Wyss, 2004; Raabe, 2004; Altmeppen, 2007) analytisch isoliert von anderen Verlagsabteilungen als rekursive Reproduktionskreisläufe mit spezifischen Strukturmerkmalen in Arbeits- und Organisationsprogrammen, die einem Routinespiel folgen (vgl. Abbildung 1 auf Folie 4). Ihre intendierte Veränderung wird mit Innovations- und Projektspiel beschrieben (vgl. Abbildung 2 auf Folie 5). ↑ nach oben

zu Folie 6: Vor diesem theoretischen Hintergrund wurden acht qualitative Experteninterviews mit Redaktionsberatern, die Veränderungsprozesse in Redaktionen beratend unterstützen, geführt, um das „Überindividuell-Gemeinsame“ (Meuser & Nagel, 1991, S. 452) für Change Management in deutschen Tageszeitungsredaktionen herauszuarbeiten. Gespräche mit Journalisten oder Verlagsmanagement wurden in dieser frühen Phase explizit zurückgestellt, da Redaktionsberater einen breiteren Erfahrungsschatz besitzen, i.d.R. keine "Betriebsblindheit" aufweisen und vermutlich eine geringere soziale Erwünschtheit in ihrem Antwortverhalten aufweisen. Im Fokus der empirischen Untersuchung stand der Status quo des redaktionellen Change Management in Deutschland, herausgearbeitet wurden seine Rahmenbedingungen, Abläufe und relevante Akteure. ↑ nach oben

zu Folien 7 bis 11: Diese Folien zeigen die einzelnen Typen von Change-Management-Projekten, die jeweils mit prägnanten Zitaten der Befragten beschrieben werden. Bei "Alibiveranstaltungen" und "Grüne Wiese"-Konzepten handelt es sich nicht um Change Management im eigentlich Sinne, da hier kein Veränderungsbestreben für das Routinespiel besteht -- trotzdem werden diesen Projekttypen von den Befragten immer wieder genannt. ↑ nach oben

zu Folien 12/13: Die Innovationsspiele zeichnen sich vor allem durch Visionslosigkeit und ein reaktives, defensives Verhalten aus. Dabei sind wirtschaftliche Probleme der zentrale Auslöser für Veränderungen. Dementsprechend klare Renditeanforderungen und „kommerziell-orientierte“ Ziele sind an die Change-Management-Projekte gebunden. Angelegt sind sie als „Top-down“-Prozesse: Die Befragten stellen heraus, dass Wandel zum größten Teil „erzwungen“ (E1) werden muss. ↑ nach oben

zu Folie 14: Die Projektspiele werden von unterschiedlich zusammengesetzten Projektteams durchgeführt. Der Chefredakteur bzw. sein Stellvertreter werden dabei als zentrale „leader“ gesehen. Für sie sind Veränderungsprozesse jedoch besonders schwierig, da sie als „pivot player“ (Becker, 1996, S. 237) einander widersprechenden Handlungslogiken folgen sollen. Einerseits müssen sie die operative Aufgabenerledigung in der Redaktion sicherstellen und stehen in permanenten Kontakt zu den ausführenden Ebenen, andererseits sind sie Mitglieder in Projektspielen, die genau diese attackieren. Die Wandlungsintensitäten der Projekte wird von den Befragten aufgrund der klassischen Stabilität in der Redaktion als "zaghaft"-inkrementell eingeschätzt. ↑ nach oben

zu Folien 15/16: Die einzelnen Veränderungen, die Change-Management-Projekte erreichen sollen, können heuristisch als Veränderungen in Organisationsprogrammen (betreffen die Organisiertheit der Redaktion) und Arbeitsprogrammen (vordergründig Veränderungen am Produkt und seinen Inhalten) klassifiziert werden, wobei beide auch parallel stattfinden. Die Veränderungen können dabei zu umfangreichen Widerständen der Routinespieler ("resistance to change") führen. Einige Gründe hierfür nennt Folie 16. ↑ nach oben

Folie 17: Diese Folie zeigt Gründe, warum auch das Change Management in Tageszeitungsverlagen unterentwickelt ist. ↑ nach oben

zu Folie 18: Diese Abbildung ist als ein Beispiel zu verstehen, welche heuristischen Analysen man mit dem empirischen Material vornehmen kann, wenn man sich an dem Theorierahmen orientiert. Wir haben hier einen (mikropolitischen) Konflikt zwischen den Mitgliedern eines Innovationsspiels (Management, Berater) und eines Routinespiels (Chefredakteure) abgetragen, der die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Change-Management-Projekte gut verdeutlicht. Je nach 'Organisation' unterscheiden sich Wahrnehmung und Handeln der Akteure -- es kommt ggf. zu "einzementierten" "Betonköpfen". Dieses Analyseraster bietet durch seine Systematisierung dann auch die Möglichkeit, praktische Handlungsempfehlungen für einzelne Fälle in situ abzuleiten. (Wobei in diesem konkreten Beispiel beachtet werden muss, dass die Position der Chefredakteure, da nicht erhoben, nur aus dem Material des Beraters rekonstruiert wurde und ggf. verfälscht ist.)

zu Folie 19: Anschlussforschung kann
  • sich beispielsweise der ambivalenten Rolle des Chefredakteurs widmen,
  • das Paradoxon, dass Redakteure in ihrer täglichen Arbeit äußerst flexibel agieren, jedoch in Veränderungsprozessen eher unbeweglich sind, weitergehend untersuchen
  • oder die einzelne Machtmittel der verschiedenen Parteien in Change-Management-Projekten analysieren.
Dazu sind auch weitere empirische Analyse notwendig, die quantitativ angelegt werden oder detaillierter einen Fall (z. B. als Case Study bis hin zu Action-Research-Projekten) untersuchen können. Auch die Sekundäranalyse vorliegender US-amerikanischer Studien stellt eine Option dar.



Literatur

Altmeppen, K.-D. (2006a). Journalismus und Medien als Organisationen. Leistungen, Strukturen und Management. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Altmeppen, K.-D. (2007). Das Organisationsdispositiv des Journalismus. In K.-D. Altmeppen, T. Hanitzsch & C. Schlüter (Hrsg.), Journalismustheorie: Next Generation. Soziologische Grundlegung und theoretische Innovation (S. 281-302). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Becker, A. (1996). Rationalität strategischer Entscheidungsprozesse. Ein strukturationstheoretisches Konzept. Wiesbaden: DUV.

Crozier, M. & Friedberg, E. (1979). Macht und Organisation. Die Zwänge kollektiven Handelns. Königstein/Ts.: Athenäum-Verlag.

Giddens, A. (1984). The Constitution of Society. Outline of the Theory of Structuration. Cambridge: Polity Press.

Meuser, M. & Nagel, U. (1991). ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. In D. Garz & K. Kraimer (Hrsg.), Qualitativ-empirische Sozialforschung. Konzepte, Methoden, Analysen (S. 441-471). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Ortmann, G. Sydow, J. & Windeler, A. (2000). Organisation als reflexive Strukturation. In G. Ortmann, J. Sydow & K. Türk (Hrsg.), Theorien der Organisation. Die Rückkehr der Gesellschaft (2., durchgeseh. Aufl., S. 315-354). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

Ortmann, G. & Sydow, J. (2001a). Strukturationstheorie als Metatheorie des strategischen Managements – Zur losen Integration der Paradigmenvielfalt. In G. Ortmann & J. Sydow (Hrsg.), Strategie und Strukturation. Strategisches Management von Unternehmen, Netzwerken und Konzernen (S. 421-447). Wiesbaden: Gabler.

Raabe, J. (2004). Theorienbildung und empirische Analyse. Überlegungen zu einer hinrei-chend theorieoffenen, empirischen Journalismusforschung. In M. Löffelholz (Hrsg.), Theorien des Journalismus: Ein diskursives Handbuch (2., v. überarb., erweit. Aufl., S. 107-128). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Wyss, V. (2004). Journalismus als duale Struktur: Grundlagen einer strukturationstheoretischen Journalismustheorie. In M. Löffelholz (Hrsg.), Theorien des Journalismus: Ein diskursives Handbuch (2., v. überarb., erweit. Aufl., S. 305-320). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Zu erst veröffentlicht am 17. Mai 2010, 10:12 Uhr auf Muke-Blog.org

Samstag, 16. Januar 2010

Die Zukunft journalistischer Produkte: Wer finanziert wen woraus?

In Zeiten der Medien- und Anzeigenkrise rufen derzeit viele Verlagsmanager nach einem “Revival” der bezahlten Inhalte, des Paid Contents, in Zeitungsverlagen. Aktuelles Beispiel ist das “100 Days of Change” Programm der Hearst Corporation (mit dem Jeff Jarvis abrechnet). Auf den Punkt bringt diese Diskussion James Warren in seinem kürzlich erschienenen Artikel “When No News Is Bad News” in “The Atlantic”:
The New York Times, Los Angeles Times and Chicago Tribune are among those organizations that have spent many millions of dollars covering the Iraq War, with each outlet paying for multiple reporters, translators, full-time drivers, guards, bullet-proof armored cars, year-round office space, office managers, and security consultants with intelligence backgrounds to provide threat assessments. And all of them give that work away for free online.

Einige Verlage haben sich bereits für eine Paid Content-Strategie entschieden. Erst kürzlich stieß ich beim Auftritt der Sächsischen Zeitung, zugehörig zu Gruner+Jahr, im Lokalteil auf folgende Meldung:
willkommen bei SZ-Exklusiv, dem Internet-Premiumdienst der Sächsischen Zeitung. Tag für Tag sind bei der SZ über 100 Redakteure für Sie im Einsatz. Direkt vor Ort, in Sachsen, in ganz Deutschland und sogar rund um den Globus recherchieren wir für Sie, worauf es aus sächsischer Sicht ankommt.
Recht haben sie beide: guter Journalismus kostet Geld und muss finanziert werden. Wir haben in verschiedenen Artikeln auf diesem Blog darauf hingewiesen, dass Verlage bei Kosteneinsparungen in der Redaktion am falschen Ende sparen und somit final auch ihr Alleinstellungsmerkmal beschädigen können. Doch kann Paid Content tatsächlich ein Modell für die Zukunft sein? Wir haben uns im Zuge der Diskussion verschiedene — auch durchaus alternative — Optionen angeschaut. Leitend war dabei die Fragestellung Wer finanziert wen woraus?

Antworten auf diese Frage können, im Detail betrachtet, vielschichtig sein. Ziel war es jedoch, einen Oberbau zu liefern. Aus diesem lassen sich unserer Meinung nach zunächst fünf Modelle für die (zukünftige) Finanzierung von Journalismus ableiten.

Wer finanziert wen woraus? Modell
Anzeigenkunden Medienunternehmen, respektive Redaktionen Werbeschaltungen Kuppelprodukt
Private Käufer Medienunternehmen, respektive Redaktionen Kaufpreis Paid Content
Aggregatoren, Syndikatoren, sonstige Unternehmen Medienunternehmen, respektive Redaktionen Kaufpreis Lizenzierung
Investoren, Mäzene Medienunternehmen oder
einzelne Journalisten oder
freie Journalistenbüros
privates Vermögen oder
alternative Einnahmequellen
Crowdfunding / Mäzenentum
Medienunternehmen Redaktionen Einnahmen, die in alternativen Geschäftsfeldern generiert werden Querfinanzierung

Das Modell Kuppelprodukt ist die klassische Variante der Finanzierung von Journalismus in Verlagen. Durch die Schaffung eines ansprechenden redaktionellen Umfeldes entsteht ein attraktiver Raum für die Platzierung von Werbung durch Anzeigenkunden. Die journalistischen Bemühungen werden also aus Werbung finanziert, welche erst geschaltet werden kann, weil es Journalismus gibt. Wissenschaftlich wird Kuppelprodukt oft noch weiter definiert, in diesem Rahmen soll aber diese Definition genügen.

Wie wir im Blog bereits öfter gezeigt haben, wird der Kampf um Werbekunden im Internet jedoch permanent aufwendiger, weshalb dieses Zusammenspiel stärker unter Druck gerät. Werbekunden sind nicht mehr auf Trägermedien wie Zeitungen angewiesen und können beispielsweise in digitalen Medien eine neue Form des Dialogs mit dem Kunden — über reine Anzeigen hinaus — initiieren.
Das Modell Paid Content finanziert Journalismus aus dem Preis, der direkt vom Endkunden für den Erwerb des journalistischen Produkts gezahlt wird. Auch hierbei handelt es sich um eine klassische Finanzierungsvariante. Allgemein bekannt ist jedoch, dass die Zahlungsbereitschaft im Onlinebereich tendenziell geringer ist (”Content is free”) und zudem immer wieder Probleme bei der Zahlungsabwicklung auftreten. Scott Karp schrieb dazu z. B.: So here we were, ready to spend $4 even $5 dollars on content, and nobody would take our money. Seriously.
 
Mischformen aus Kaufpreis und Anzeigeneinnahmen sind heute die Hauptfinanzierungsquelle für journalistische Print- und Onlineprodukte von Verlagen. In den letzten Jahren hat sich der Anteil jedoch stärker zum Kaufpreis verschoben, weshalb Printprodukte kontinuierlich teurer geworden sind.
Wenn aber dieses Modell immer stärker ins Wanken kommt, dann stellt sich die Frage, wie alternative Finanzierungsformen der Zukunft aussehen könnten.
Zunächst soll hier ein Blick auf das Modell Lizenzierung geworfen werden. Hierbei tritt ein alternatives Unternehmen als Käufer der redaktionellen Inhalte auf. Dies kann bei der Lizenzierung von Content für interne Zwecke (vgl. Vorschlag von Christoph Keese) beginnen und bei dem etwas fantasievoll anmutenden Vorschlag, Google solle für die Links auf Inhalte Abgaben an Verlage zahlen (vgl. dazu “Show me the money”), enden. Die Wahrheit liegt wohl eher in der Mitte: Mit internen Pressespiegeln lässt sich wenig Geld verdienen und Google zu Abgaben zu zwingen bewegen. Vielleicht werden aber anders geartete Syndikatoren oder Onlineanbieter, die professionelle Inhalte benötigen (Communities, Soziale Netzwerke, Firmen), in Zukunft als Käufer auftreten. Wenn es Verlagen gelingt, gegenüber diesen ein Lizenzierungsmodell aufzubauen, kann das eine Form der neuen Journalismusfinanzierung darstellen.

Als weitere Vorschläge gelten Crowdfunding und Mäzenentum. Hierbei handelt es sich um neue Formen der Finanzierung, denen im vergangenen Jahr viel Beachtung geschenkt wurde. Beide sind dem Paid Content Modell nahe, da private Endkäufer für Inhalte bezahlen, jedoch eher freiwillig fundiert. In einem Kommentar auf diesem Blog schreibt Katja Kaufmann:
Wie wäre es denn damit: Kachingle ist ein Start-Up, das es ermöglicht, Content im Internet freiwillig und nach dem Gießkannenprinzip zu bezahlen. Ein Anfang, um für wertvoll erachteten Online-Journalismus zu unterstützen, statt Bezahlbarrieren zu errichten?
Kachingle ist ein oft erwähntes Beispiel, das auch Spiegel Online nennt. Es stellt aber nur eine Möglichkeit der Finanzierung durch Mäzene dar. Denkbar sind auch Modelle, in denen Privatpersonen in einzelne Artikel (z. B. freier Journalisten) investieren, um später unter Umständen einen Return aus dem Verkauf der Geschichte zu ziehen — spot.us gilt hier als Beispiel.

Medienunternehmen treten hier zunächst nicht in Erscheinung, das Modell wirkt recht befreit von Institutionen. Natürlich bedarf es aber einer organisatorischen Einheit, die Plattform, Mittel und Rahmenbedingungen schafft, so dass Journalismus über Crowdfunding finanziert werden kann. Medienunternehmen können hier eine neuartige Servicefunktion einnehmen, indem sie sich als Vermittler sowie Ermöglicher positionieren.
Denkbar ist jedoch auch, dass Journalismus in Medienunternehmen im Modell Querfinanzierung zu einem Prestigeobjekt verkommt. Diese Unternehmen generieren ihre Einnahmen zukünftig in neuen Geschäftsfeldern und finanzieren damit die journalistischen Leistungen. Journalismus ist dann nur noch eine Werkzeug der eigenen Markenpflege und Positionierung gegenüber dem Kunden. Diese Zukunftsvorstellung ist nicht gerade erbauend und dürfte zu kritischen Diskussionen im Hinblick auf die öffentliche Aufgabe und demokratische Funktion des Journalismus führen.

Die einzelnen Finanzierungsmodelle können auch frei miteinander kombiniert werden — wie Kuppelprodukt und Paid Content heute schon im Printprodukt zusammengeführt sind.

Zu erst veröffentlicht am 01. März 2009, 22:14 Uhr auf Zeitungsperspektiven.de

Ansätze für ein Gatekeeping 2.0

Ein “Gatekeeper” war früher zumeist der Redakteur im Newsroom, der entschied, welche Nachrichten auf seinem Schreibtisch — im Medium — und welche im Müll landeten. Begrenzter Raum in gedruckten oder gesendeten Medien erforderte die Auswahl aus einer Vielzahl von Meldungen der Agenturen oder anderer Medien. Redakteure entschieden anhand von Relevanzkriterien, die in der Nachrichtenwertforschung als Nachrichtenwertfaktoren bezeichnet werden, welche Meldungen außen vor bleiben mussten. Gatekeeping meint klassisch also die “Begrenzung der Informationsmenge durch Auswahl von als kommunikationswürdig erachteten Themen”. Bekannte Untersuchung wie die des “Mr. Gates” von David M. White (1950) begründeten diesen Forschungsbereich vor Jahrzehnten.

Vor kurzem durfte ich einen Vortrag zu diesem Thema verfolgen, bei dem die Referenten eindrücklich zeigen konnten, wie die Relevanz dieses klassischen Modells zunehmend schwindet. Heute kann theoretisch jeder sein eigener Gatekeeper sein: der Raum ist nicht mehr begrenzt, die eingehenden Meldungen liegen zum größten Teil für jeden zugänglich im Internet vor, der (ehemalige) Konsument ist insgesamt viel näher an der eigentlichen medialen Produktion.

Die Begrenzung der Informationsmenge bleibt nichtsdestotrotz relevant — ansonsten finden wir uns in der Masse unmöglich zurecht, landen zwangsläufig in einem “Information Overload” (bzw. Clay Shirky sagt “It’s Not Information Overload. It’s Filter Failure.”) und bleiben am Ende des Tages uninformiert. Menschen brauchen daher auch im Internet Hilfsmittel, zentrale Anlaufpunkte — Leuchttürme –, die für uns oder mit uns auswählen. Das sind aber nicht mehr, wie gestern, zwangsläufig die klassischen Gatekeeper, also Nachrichtenredaktionen im Speziellen und massenmediale Angebote im Allgemeinen. Michael Wesch hat in seinem bekannten Vortrag vor dem Library of Congress dazu — singemäß — gesagt:
Für die Distribution von Inhalten brauchten wir früher die Maschinerie der Massenmedien — heute gibt es eine usergenerierte Alternative.
Betrachtet man in diesem Kontext die Auswahl und Bereitstellung von Nachrichten, Kernstück der Verlage, so können aktuell grundsätzlich drei unterschiedliche Gatekeeping-Ansätze festgehalten werden:
  1. Gatekeeping durch eine organisierte Redaktion
    Der klassische Ansatz, der auch heute noch in jedem Verlag gängig ist, auf Basis der alten massenmedialen Konstrukte argumentiert und, wie oben gezeigt, durch die Nachrichtenwertforschung intensiv untersucht wurde.
  2. Gatekeeping durch einen technologischen Algorithmus
    Der “Google”-Ansatz, auch wenn diese Form der Auswahl natürlich schon vor Google durch Suchmaschinen verschiedener Art möglich war. Google News hat die technologische Filterung im Nachrichtenumfeld jedoch am stärksten getrieben, Silobreaker, Newskraft und Techmeme sind beispielhafte Alternativen, die zum Teil in Nischen arbeiten, immer aber vordergründig technologische Ansätze, die nach mathematischen Relevanzkriterien auswählen, verfolgen.
  3. Gatekeeping durch eine kollektive Masse an Menschen
    Der Ansatz verschiebt die Arbeit des Redakteurs nicht auf Technologie, sondern auf ein Kollektiv, auf den “Groundswell”. Die Redaktion wird hier durch das unbezahlte, disperse Publikum ersetzt, in dem die einzelnen Personen in einer Masse aufgehen, die Entscheidungen trifft, wodurch Relevanzen — zumindest theoretisch — demokratischer vergeben werden. Sogenannte “Intermediäre” wie Technorati, Delicious oder Digg setzen auf “user generated Recommendation” und bieten die dazu nötigen Technologien an, um den Nutzer zum Teil einer neuen Gatekeeper-Maschinerie zu machen.
Diese Lösungen konvergieren im Web 2.0, so dass eine klare Einordung einzelner Angebote letztlich nur schwer möglich ist. Kollaborative Ansätze arbeiten zwangsläufig immer mit technischen Lösungen (Digg braucht einen funktionierenden Technologiehintergrund, um User einzubeziehen), vormals rein technische Aggregatoren beschäftigen neuerdings Redakteure. Dies macht die Diskussion über die einzelnen Ansätze nicht leichter: Alle drei Gatekeeping-Ansätze sind an verschiedensten Stellen kritisierbar. Wir haben in einem vorherrigen Beitrag die Meinung vertreten, die Redaktion sei beiden Ansätzen überlegen: Technologien könnten unmöglich Relevanzen nach menschlichen Kriterien bestimmen, das Kollektive würde nach Kriterien selektieren, die nicht an gewisse berufsethische Vorstellungen oder spezifische Rechte und Pflichten gebunden sind, wie dies bei Journalisten der Fall ist. Der Effekt der Schweigespirale in der öffentlichen (”Online”)-Meinung könne hier zum Tragen kommen. Nichtsdestotrotz muss ich zugeben: Auch Redaktionen sind natürlich Arbeitszwängen, verlegerischen Leitlinien und — bewusst oder unbewusst — politischen und wirtschaftlichen Interessen unterworfen. Eine Mischung aller Ansätze könnte jedoch eine Innovation für die Zukunft sein, die gegenseitig Nachteile ausgleicht.

Verlage müssen sich die Fragen gefallen lassen, weshalb sie neben dem ersten Gatekeeping-Ansatz nicht auch auf neue Formen zurückgreifen, die nun im Internet realisierbar sind. Beim technologischen Gatekeeping ist noch verständlich, dass die verlegerische Kernkompetenz nicht auf der Erstellung dieser Systeme liegt. Doch gerade die Funktion von “Intermediären”, also Serviceanbietern, die ihren Kunden eigenes Gatekeeping ermöglichen, ist zu spannend, als dass Verlage diese einfach ignorieren könnten. Wie sollte man gegenüber seinen Usern im Internet rechtfertigen, dass sie nicht an der Nachrichtenselektion beteiligt werden? Die Argumente des klassischen Gatekeepings funktionieren hier nicht mehr — Verlage müssen sich dazu Gedanken machen.

Zu erst veröffentlicht am 22. Dezember 2008, 16:14 Uhr auf Zeitungsperspektiven.de

Was beim Change Management in Redaktionen beachtet werden muss

Wenn wir über die nötigen Veränderungen in Verlagshäusern sprechen, dann geht es immer auch um die interne Gestaltung dieser Wandlungs- und Restrukturierungsprozesse. Die Ausrichtung auf die neuen Marktbedingungen setzt in Unternehmen ein Umdenken in den Köpfen aller Mitarbeiter voraus. Das jetzt der richtige Zeitpunkt ist, haben wir schon in dem vorherigen Beitrag “Den Wandel wachrütteln” dargelegt.
In der Betriebswirtschaftslehre lässt sich dazu die Disziplin des Change Managements oder Veränderungsmanagements heranziehen. Aufbauend auf Kurt Lewin, der in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Grundlagen für “Organizational Change” legte, wurde Change Management in den letzten Jahren von verschiedensten Seiten, insbesondere in der Beratung, popularisiert. Mittlerweile gibt es ein unüberschaubares Feld an Beratungshäusern und Consultants, die freiberuflich ihre Unterstützung beim Wandel von Unternehmen anbieten. Auch in der Wissenschaft vermischen sich oftmals theoretische und praktische Bezüge, so dass in Buchform eine ganze Reihe an Praxisratgebern zum Change Management vorliegen. Für Deutschland untersuchen Capgemini sowie IBM regelmäßig den Status Quo des Change Managements in deutschen Unternehmen.

Spezifische Publikationen zu Veränderungen in Verlagen sind hingegen selten. Insbesondere die Transformation der Redaktion, also des Herzstückes und Verlagskernes (das bestätigt auch wieder Christoph Keese im Turi2-Interview), wird nicht in dem Maße behandelt, wie es nötig wäre. Ich habe dazu erst vor Kurzem einen Impulsvortrag gehalten und die Charts hier einmal in kurzer Slideshare-Form aufbereitet.






Diese Präsentation zeigt, wie wichtig eine strukturierte, gesteuerte, nicht evolutionäre Veränderung der Redaktion ist. Dabei ist Change Management für Verlage gar nicht so neu, wie man zunächst denken könnte. Auch die Veränderung von Redaktionen ist kein Novum: Bereits mit der Umstellung von Schreibmaschine auf Desktop-PC in den Redaktionen (“Vom Redakteur zum Redaktroniker”) Mitte der siebziger Jahre mussten Journalisten Wandel akzeptieren und neue Fähigkeiten entwickeln. Der Widerstand war zu damaligen Zeiten gewaltig. Change Management ist dann auch im Zuge der Einführung von Newsrooms erstmals als Begriff in die Redaktion eingebracht worden — Prof. Dr. Klaus Meier hat dazu in der Medienwirtschaft geschrieben.
In jedem Fall muss der Anstoß von Chefredaktion und Unternehmensleitung kommen: Sie müssen Ideen und Visionen entwickeln und in neue Strukturen, Technik und Personal investieren. Genauso wichtig ist, dass Chefredakteure ihr Team mitnehmen und das kreative Potential einer Redaktion nutzen. Change Management war in Redaktionen bis vor kurzem ein Fremdwort – heute ist es überlebenswichtig.
Heute geht es nicht mehr nur um die “Computerisierung” des Journalismus, sondern, darum Journalisten und ihr Rollen und Berufsbilder nachhaltig zu wandeln. Wenn das aber geschehen soll, dann ist es nötig, die Spezifika der Redaktion zu beachten. Denn hier liegt ein entscheidender Unterschied zur Transformation “normaler” Abteilungen.

  • Berufsethische Probleme und journalistische Sonderstellung: Das Rollenverständnis des Journalisten umfasst in Deutschland ganz stark auch die Forderung nach Freiheit und Unabhängigkeit des Berufes, insbesondere geprägt durch historische Kontexte wie die Gleichschaltung während des Dritten Reiches. Journalisten haben, auch rechtlich, die Rolle eines Sprachrohres der Gesellschaft. Ihnen kommen zur Wahrnahme dieser Aufgabe bestimmte Sonderrechte wie das Beschlagnahmeverbot und Zeugnisverweigerungsrecht zu. Dies sind wichtige Grundlagen, die die demokratische Meinungsbildung innerhalb der Bundesrepublik stützen. Historisch gewachsen kommt der Redaktion in Verlagen daher auch eine strukturelle Sonderstellung zu. Das ist richtig und wichtig, damit sie ihrer Öffentlichen Aufgabe, die in den Landespressegesetzen festgeschrieben ist, nachkommen kann.
    Change Management kann jedoch teilweise mit diesen Sonderstellungen kollidieren bzw. es kann der Anschein einer Kollision entstehen. Journalisten reagieren auf diese Entwicklungen - sicherlich teilweise zu Recht - empfindlich. Auf der anderen Seite können diese Argumente von unzufriedenen Mitarbeitern auch genutzt werden, um Wandlungsprozesse taktisch zu attackiert. Beispiele sind (öffentliche) Verweise auf die “Einschränkung der internen Pressefreiheit” u. ä. Journalisten sind daher Mitarbeiter, die in Change Prozessen insbesondere eingebunden werden müssen: Alle Schritte des Wandels sollten eng mit ihnen abgestimmt werden. Wenn dies nicht gelingt, kann es auch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen. Die Fusion von Chefredakteur und Geschäftsführung und ähnliche Restrukturierungsprozesse können, wie das Beispiel der Berliner Zeitung unter Josef Depenbrock zeigt, bis zu öffentlichkeitswirksamen, gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Redaktion führen.
  • Interne Organisation: Die Aufteilung in Ressorts untergliedert die Redaktion zumeist weitergehend. Das macht Change Management in der Redaktion nicht leichter, da es zusätzliche Strukturen schafft, die überwunden werden müssen. Zudem bestehen oftmals interne Spannungen zwischen den einzelnen Ressorts und ihren Redakteuren.
  • Autonomie mancher Redaktionen: Einige Redaktionen können auch heute noch recht autonom unter ihren gewachsenen Strukturen walten. Veränderungen sind in diesen besonders schwierig, da sie als Einmischung in journalistische Hoheitsgebiete gewertet werden.
Sarah Schantin-Williams hat sich in mehreren (nicht frei erhältlichen) Studien der IFRA mit diesem Thema beschäftigt. Hier ein interessantes Interview mit ihr zum Thema “Change management into the newsroom”.



Leider thematisiert sie nicht die Spezifika der Redaktion, wobei sie natürlich schon darstellt, wie wichtig der Change gemeinsam mit den Mitarbeitern (Communication und Involvement) ist.

Zu erst veröffentlicht am 17. Dezember 2008, 11:06 Uhr auf Zeitungsperspektiven.de

Verlage als Ermöglicher von interpersoneller Kommunikation

Früher war medial alles so einfach: Wollte man sich informieren oder unterhalten, gab es das System Massenmedien mit Print und Rundfunk, das entweder öffentlich-rechtlich (Stichwort: Landesrundfunkanstalten) oder privatwirtschaftlich-familiär (Stichwort: Verlegerfamilien) organisiert war. Für die persönliche Kommunikation nutzte man den Brief und das Telefon, natürlich von der Deutschen Post. Beide Welten waren getrennt, nur in Ausnahmefällen schickte man beispielsweise Leserbriefe an einen Verlag.

Dann wurde plötzlich alles anders: Das Internet brach die starren, verwurzelten Abgrenzungen der massenmedialen (von einem Kommunikator an ein disperses Publikum vermittelte) Kommunikation und der interpersonellen (zwischen einzelnen Menschen stattfindende) Kommunikation auf. Plötzlich nutzte man den selben Kanal, um eine “massenmediale” Nachrichten zu erhalten und eine persönliche zu versenden. Diese Konvergenz der früher weitestgehend getrennten Kommunikationsformen ist in den letzten Jahren immer stärker hervorgetreten. Das zeigt sich heute z. B. am User Generated Content, der weder dem einen, noch dem anderen Bereich trennscharf zugeordnet werden kann.

Gerade aus diesem Grund scheint die interpersonelle Kommunikation zunehmend wichtiger zu werden. Robin Meyer-Lucht beschreibt diesen Trend in der Wochenzeitung “Freitag” und bezieht sich dabei auf die Ergebnisse der ACTA 2008:
Noch bedrohlicher aber für die alten Medienindustrien ist der Wandel der Informationskulturen durch das Internet. Die Menschen informieren sich online verstärkt anlass- und ereignisgetrieben. Die habituelle Nutzung von Publikationen nimmt ab. Die Nutzer reagieren auf die Informationsvielfalt mit einer Verengung ihres Interessenspektrums. Zugleich gewinnt das persönliche Umfeld als Ursprung von Informationen an Bedeutung: Nachrichten lesen über Leute, die man kennt - das betrifft dank sozialer Netzwerke zunehmend direkte Freunde und seltener Massenmedienprominente.
Dabei ist insbesondere der letzte Satz von alarmierender Brisanz: Wenn nämlich interpersonelle Kommunikation in Zukunft gegenüber dem passiven Medienkonsum für den Einzelnen noch größere Relevanz gewinnt, geraten Verlage, deren Kerngeschäft eben die Verbreitung dieser öffentlichen Kommunikation ist, weiter unter Druck. Der Boom um Mobiltelefone, Social Network Sites und der Drang zur permanenten Konnektivität zu den eigenen, sozialen Beziehungen dürften hierfür Beleg genug sein.

Anstatt also den regionalen Artikel über den Autounfall eines Unbekannten zu lesen, beobachten die Nutzer vielleicht in Zukunft lieber die Statusmeldungen ihrer “Social Network-Freunde”. Der aktuelle Klatsch und Tratsch aus Hollywood ist möglicherweise eine lahme Nummer im Vergleich zu den neusten Gerüchten, die mittels persönlicher Nachrichten ausgetauscht werden. Das Management der eigenen Beziehungen kann zukünftig wichtiger werden als der redaktionelle Leitartikel in der Printausgabe.

Um es auf den Punkt zu bringen: Was passiert, wenn Journalismus und redaktionelle Arbeit für die Menschen schlicht unwichtiger werden? Das soll hier weder behauptet, noch bewertet oder kritisch diskutiert werden — Verlage müssen dies aber thematisieren, wenn sie sich in Zukunft nicht nur zum Verkäufer von Buchreihen oder Wein diversifizieren wollen. Ironisch verweist Publishing 2.0 in diesem Kontext darauf, dass sich nach Meinung mancher Experten Zeitungsverlage so verändern sollten, dass sie am Ende des Tages keine Zeitungsverlage mehr sind (“And if they become ad agencies, then newspapers really aren’t newspapers anymore, are they?”). Wenn Verlage also in Zukunft noch nahe an Kommunikation bleiben wollen, müssen sie vielmehr ihr Verständnis von Kommunikation im linear-vermittelten Massenkonzept überdenken und über das Selbstverständnis des Kommunikators hinaus erweitern — nämlich zum (gleichzeitigen) Ermöglicher der interpersonellen Kommunikation anderer.

Zum Teil passiert das schon: Offline sind die Verlage letztes Jahr grandios mit der PIN-AG am Post-Mindestlohn der Großen Koalition gescheitert. Da war der Gegner, die Deutsche Post, aber auch eine Nummer zu groß und das Vorhaben — in Deutschland Post zu verteilen — mehr als herausfordernd. Man sollte meinen, im Internet sollte das vergleichsweise einfacher sein. Doch überall dort, wo Verlage versuchen, vom Kommunikator zum Kommunikationsdienstleister zu werden, geschieht dies durch M&A-Strategien. Verlage kaufen Start-ups wie StudiVZ, die nicht monetarisiert werden können oder offensichtliche Schwächen mit sich bringen. Auch Whitelabellösungen sind immer nur bedingt Zugpferde.
Dabei gibt es heute auch andere Möglichkeit, sich als Ermöglicher von Kommunikation zu positionieren. Zum Beispiel im Dunstkreis der eigenen redaktionellen Angebote oder durch eine Community von lokalem Wert, die in enger Verbindung zum Verlag bzw. zur Tageszeitung gesehen wird. Verlage können es schaffen, Menschen zusammezubringen, die sich vorher nicht kannten und somit neue zwischenmenschliche Kommunikation und Beziehungen schaffen.

Letztlich ist es an den Verlagen, ihr Selbstverständnis zu überdenken. Das beginnt in der Redaktion und zieht sich bis in die Führungsetagen. Verleger müssen definieren, was sie in Zukunft sein wollen — denn als rein linearer Kommunikator wird es schwer werden, erfolgreich zu bleiben.

Zu erst veröffentlicht am 08. Dezember 2008, 15:24 Uhr auf Zeitungsperspektiven.de

"Den Wandel wachrütteln" — Die Anzeigenkrise als Weckruf für journalistische Veränderung

Viel wird in den letzten Wochen über die Finanzkrise und ihre Auswirkung auf die Medien — die Werbekrise — geschrieben, diskutiert, spekuliert. Es begann mit mulmigen Erinnerungen (”Wenn Unternehmen weniger Geld verdienen, sparen sie dann nicht zu erst im Marketing und respektive den Anzeigen?”), ging über in erste Spekulationen und endete aktuell in täglich neuen Schreckensmeldungen aus den Verlagshäusern. So gravierend wie diese Einschnitte zum Teil sind, die Krise birgt auch neue Chancen für klassische Medienhäuser — insbesondere die Möglichkeit, endlich den internen Wandel wachzurütteln und mehr anzugehen, als nur das “Portfolio [zu] bereinigen”.


Jack Welch hat gesagt: “If change is happening on the outside faster than on the inside the end is in sight”. Betrachtet man die Situation der Verlage am Anfang des 21. Jahrhunderts, so passt dieses Zitat leider wie angegossen: Während “draußen” im Internet im Tagestakt neue, finanzstarke Konkurrenz entstand, innovative Geschäftsmodelle etabliert und ein großes Stück des Werbekuchens umverteilt wurde, klammerte man sich “drinnen” an kurzfristiges, alt bewährtes. In der Anzeigenkrise zeigen sich die Auswirkungen dieser Versäumnisse umso drastischer. Anstatt das Übel an der Wurzel zu packen, versuchen die meisten Verlagen das Problem jedoch mit kurzfristiger Denke zu behandeln. Wem ist geholfen, wenn Redaktionen abgebaut werden? Der Jahresbilanz natürlich, nicht aber dem Kerngeschäft. Ich habe in einem anderen Beitrag die Meinung vertreten, dass die Redaktion die Kernressource, das Alleinstellungsmerkmal des Verlages ist, das von keinem Konkurrenten, auch nicht Google, mal eben so ersetzt werden kann. Ich stehe auch weiterhin dazu: Verlage zerstören auf lange Sicht ihre Kernressource, nämlich Journalisten und Redakteure, wenn sie Redaktionen ausdünnen, zusammenlegen und outsourcen.

Die Anzeigenkrise ist trotzdem ein Indikator, das zentrale Gelegenheiten versäumt wurden, und sollte als Weckruf der internen Veränderung gewertet werden. Bei dieser Veränderung geht es jedoch nicht um den kurzfristigen Abbau von Stellen, sondern um einschneidende Erneuerungen in den Kerngeschäften, in Stellenprofilen, letztlich um den Wandel der journalistischen Funktion. Expandieren Verlage stärker in Neue Medien, — und das werden und müssen sie trotz aller Blasen-Spekulationen — dann muss sich das ganze Unternehmen wandeln, um erfolgreich sein zu können. Das betrifft insbesondere die Redaktion, da das Modell der linear vermittelten Massenkommunikation (Sender -> Empfänger) nicht mehr funktional ist. Denn im Internet ist jeder Rezipient oder Autor/Kommentator, Empfänger oder eben Sender, wenn er möchte. Journalisten verlieren ihre Alleinstellung, manche Blogger argumentieren sogar, dass Journalisten im Web 2.0 überflüssig geworden sind. Soweit gehe ich nicht, wohl aber müssen sie sich neu erfinden, um in Zukunft besonders zu bleiben. Verlage müssen daher die Aufgabe und Funktion ihrer Redaktion überdenken. Natürlich braucht es immer professioneller Autoren und Kommentatoren. Doch Journalisten müssen in Zukunft mehr können und mehr tun als heute. Das passiert, ob nun getrieben durch Redaktion oder Verleger: die FAZ lässt ab heute zehn Autoren des Feuilletons bloggen und setzt damit gerade Feuilletonisten in den direkten Dialog mit dem Nutzer — ein Novum. Bei den grausamen Terroranschlägen in Mumbai, Indien, haben CNN-Journalisten eng mit lokalen Microbloggern kooperiert, Wahres von Falschem selektiert, Relevanzen verteilt: Journalisten als Aggregator und Gewichter. Diese Liste der schleichenden, aber im Ganzen gravierenden Veränderungen des Journalismus ließe sich beliebig fortsetzen.

Auch Autoren regionaler Tageszeitungen werden sich verändern müssen, der mobile Live-Reporter ist ein Beispiel, wie Lokaljournalismus in Zukunft aussehen könnte.
Hier ist der Journalist nicht mehr nur Redakteur für Print oder Audio oder Video, sondern für alle medialen Formen verantwortlich. Multimedial bereitet er Nachrichten, die er vor Ort recherchiert, mobil auf und verwertet sie über die verschiedenen Ausspielkanäle. Noch “live” vor Ort filmt er ein Video, das als Stream verbreitet wird und mit seinen Audio-Kommentaren unterlegt ist. Eine kurze Textschlagzeile wird direkt vom Standort verbreitet. Zurück in der Redaktion bereitet er den Fall als Textbeitrag auf, recherchiert Hintergründe und stellt Bezüge zu regionale Blogs und Berichten anderer Medien her. Online wird dieser Artikel permanent in enger Kooperation mit anderen Augenzeugen und Lesern überarbeitet und weiterentwickelt. In Sozialen Netzwerken wie Microbloggingdiensten verbreitet der Journalist den Bericht und holt weitere Meinung ein. In der gedruckten Zeitung erscheint am nächsten Tag ein finaler Report dieser Online-Diskussion. Dementsprechend höhere Anforderungen werden an die Kenntnisse des Journalisten gestellt; es zählen Flexibilität, Schnelligkeit und Mobilität. Der Journalist muss nicht mehr nur schreiben, kommentieren, filmen, sondern gleichzeitig bündeln, bewerten und seinen eigenen Bericht gegenüber den gleichberechtigten Nutzern vermarkten.

Damit der Wandel gelingt müssen natürlich auch die Journalisten umdenken und ihre Skepsis gegenüber den Neuen Medien ablegen. Ich bin der Meinung, dass sie das werden, denn die Alternativen sind Freiberuflichkeit, Gehaltskürzungen, final Entlassungen.

Es liegt an den Verlagen, den Wandel in der Krise wachzurütteln. Gerade jetzt ist der richtige Zeitpunkt, die Gedanken auch über die Jahresbilanz hinaus zu werfen und strategisch über die Zukunft der Zeitung in veränderten journalistischen Rahmenbedingungen nachzudenken. Und: Wenn sie es diesmal erneut verschlafen, Zeitungsperspektiven zu eröffnen, wird es vielleicht keine zweite Chance geben.

Update: Bei Turi2 erzählt Jan-Eric Peters, Gründungsdirektor der Axel Springer Akademie, in den ersten zwei Minuten des Beitrages ein paar Dinge zu den Herausforderungen an den crossmedialen Journalisten.

Zu erst veröffentlicht am 01. Dezember 2008, 11:21 Uhr auf Zeitungsperspektiven.de

Mehr Innovation wagen: Business Development im Lokalen

Vergangenen Freitag ist ein neues Start-up aus meinem Bekanntenkreis in die offene Beta gegangen, ich hatte das auch getwittert. KaufDA bietet Nutzern “ein Online-Schaufenster für die lokale Angebotssuche” und will den Offline-Kauf vereinfachen. Persönlich finde ich die Plattform aber aus einem anderen Grund interessant: Die Gründer scannen mit einem Team aus vier Personen und ein paar Praktikanten wöchentlich offenbar hunderte regionale Anzeigenprospekte von Einzelhändlern ein, vertaggen diese und stellen sie zum Durchblättern im Web bereit. Das ist ein spannender regionaler Service, auch wenn er bisher noch nicht ausgereift ist und eine Reihe zusätzlicher Funktionen wünschenswert wären. Trotzdem gibt es durchaus Ansätze zur Monetarisierung, gerade wenn die Discounter bereit sind, für die Bereitstellung ihrer Werbung zu bezahlen.

Ich habe mir in diesem Kontext ein paar Fragen gestellt:
  • Warum konzentrieren sich Verlage im Onlinebereich nicht zunehmend auf solche Services? Dass Onlinewerbung in Zukunft nicht die Ausfälle im Print decken wird, hat zum Beispiel Forrester (kostenpflichtig) schon eindrücklich vorgerechnet. Thomas schrieb dazu: “Wenigen (den Zeitungsverlagen) [wird] viel weggenommen und auf Viele (das Internet) verteilt”. Verlage sind in ihrer Region bereits Dienstleister für Nachrichten (ob in Papier-, oder digitaler Form sei mal dahingestellt) — warum werden sie es nicht auch darüber hinaus? Ihr Umfeld wäre dafür optimal geeignet.
  • Warum musste diese Idee ein paar Studenten, im wahrsten Sinne des Wortes “zwischen Tür und Angel”, kommen?
  • Warum gelingt es einem Start-up solche Innovationen innerhalb weniger Monate umzusetzen, einem finanz- und personalstärkeren Verlag aber fast nie? Liegt es an der Unbeweglichkeit dieser Unternehmen?
(Regionale) Discounter und Supermärkte sind seit Jahrzehnten Anzeigenkunden bei regionalen Tageszeitungen, die Anzeigenabteilung arbeitet regelmäßig mit diesen Unternehmen zusammen. Zugegeben: Die meisten dieser Broschüren finden sich mittlerweile in kostenlos verteilten Anzeigenblättern (die oftmals auch zu einem regionalen Verlag gehören) oder in Einkauf Aktuell der Deutschen Post. In der Tageszeitung ist aber zumindest eine Seite mit den “Top-Angeboten der Woche” geschaltet. Alexander Mogg, Partner bei Roland Berger, hat in seinem Vortrag (PDF) bei den VDZ Zeitschriftentagen resümiert:
Innovationskompetenz wird angesichts des multimedialen Wettbewerbs zum Erfolgsfaktor
Ich stimme Herrn Mogg voll und ganz zu — auch wenn sich sein Vortrag gezielt an Zeitschriftenverleger richtete, müssen gerade kleinere, regionale Zeitungsverlagen innovativer werden. Diese Häuser sollten sich in Zukunft verstärkt Gedanken zum Business Development im Lokalen machen: Die Regionalität ist ihr großes Alleinstellungsmerkmal, das gerade im Zuge der Glokalisierung auch im Internet klar herausstechen sollte. Verlegern muss es gelingen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, egal ob Redaktion, Marketing, Vertrieb, Anzeigengeschäft usw. zu Innovatoren zu machen. Das Beispiel um KaufDA zeigt, wie ein Start-up, dessen Leitidee von zwei Studenten entwickelt wurde, theoretisch einen der wichtigsten Anzeigenkunden der Zeitungsverlage abwerben könnte. Das sollte nicht passieren — wir werden daher weiterhin verfolgen, wie es Verlegern intern gelingt, die Kreativität und Innovationen ihrer Mitarbeiter zu nutzen.

Zu erst veröffentlicht am 03. Dezember 2008, 14:00 Uhr auf Zeitungsperspektiven.de