Samstag, 16. Januar 2010

"Den Wandel wachrütteln" — Die Anzeigenkrise als Weckruf für journalistische Veränderung

Viel wird in den letzten Wochen über die Finanzkrise und ihre Auswirkung auf die Medien — die Werbekrise — geschrieben, diskutiert, spekuliert. Es begann mit mulmigen Erinnerungen (”Wenn Unternehmen weniger Geld verdienen, sparen sie dann nicht zu erst im Marketing und respektive den Anzeigen?”), ging über in erste Spekulationen und endete aktuell in täglich neuen Schreckensmeldungen aus den Verlagshäusern. So gravierend wie diese Einschnitte zum Teil sind, die Krise birgt auch neue Chancen für klassische Medienhäuser — insbesondere die Möglichkeit, endlich den internen Wandel wachzurütteln und mehr anzugehen, als nur das “Portfolio [zu] bereinigen”.


Jack Welch hat gesagt: “If change is happening on the outside faster than on the inside the end is in sight”. Betrachtet man die Situation der Verlage am Anfang des 21. Jahrhunderts, so passt dieses Zitat leider wie angegossen: Während “draußen” im Internet im Tagestakt neue, finanzstarke Konkurrenz entstand, innovative Geschäftsmodelle etabliert und ein großes Stück des Werbekuchens umverteilt wurde, klammerte man sich “drinnen” an kurzfristiges, alt bewährtes. In der Anzeigenkrise zeigen sich die Auswirkungen dieser Versäumnisse umso drastischer. Anstatt das Übel an der Wurzel zu packen, versuchen die meisten Verlagen das Problem jedoch mit kurzfristiger Denke zu behandeln. Wem ist geholfen, wenn Redaktionen abgebaut werden? Der Jahresbilanz natürlich, nicht aber dem Kerngeschäft. Ich habe in einem anderen Beitrag die Meinung vertreten, dass die Redaktion die Kernressource, das Alleinstellungsmerkmal des Verlages ist, das von keinem Konkurrenten, auch nicht Google, mal eben so ersetzt werden kann. Ich stehe auch weiterhin dazu: Verlage zerstören auf lange Sicht ihre Kernressource, nämlich Journalisten und Redakteure, wenn sie Redaktionen ausdünnen, zusammenlegen und outsourcen.

Die Anzeigenkrise ist trotzdem ein Indikator, das zentrale Gelegenheiten versäumt wurden, und sollte als Weckruf der internen Veränderung gewertet werden. Bei dieser Veränderung geht es jedoch nicht um den kurzfristigen Abbau von Stellen, sondern um einschneidende Erneuerungen in den Kerngeschäften, in Stellenprofilen, letztlich um den Wandel der journalistischen Funktion. Expandieren Verlage stärker in Neue Medien, — und das werden und müssen sie trotz aller Blasen-Spekulationen — dann muss sich das ganze Unternehmen wandeln, um erfolgreich sein zu können. Das betrifft insbesondere die Redaktion, da das Modell der linear vermittelten Massenkommunikation (Sender -> Empfänger) nicht mehr funktional ist. Denn im Internet ist jeder Rezipient oder Autor/Kommentator, Empfänger oder eben Sender, wenn er möchte. Journalisten verlieren ihre Alleinstellung, manche Blogger argumentieren sogar, dass Journalisten im Web 2.0 überflüssig geworden sind. Soweit gehe ich nicht, wohl aber müssen sie sich neu erfinden, um in Zukunft besonders zu bleiben. Verlage müssen daher die Aufgabe und Funktion ihrer Redaktion überdenken. Natürlich braucht es immer professioneller Autoren und Kommentatoren. Doch Journalisten müssen in Zukunft mehr können und mehr tun als heute. Das passiert, ob nun getrieben durch Redaktion oder Verleger: die FAZ lässt ab heute zehn Autoren des Feuilletons bloggen und setzt damit gerade Feuilletonisten in den direkten Dialog mit dem Nutzer — ein Novum. Bei den grausamen Terroranschlägen in Mumbai, Indien, haben CNN-Journalisten eng mit lokalen Microbloggern kooperiert, Wahres von Falschem selektiert, Relevanzen verteilt: Journalisten als Aggregator und Gewichter. Diese Liste der schleichenden, aber im Ganzen gravierenden Veränderungen des Journalismus ließe sich beliebig fortsetzen.

Auch Autoren regionaler Tageszeitungen werden sich verändern müssen, der mobile Live-Reporter ist ein Beispiel, wie Lokaljournalismus in Zukunft aussehen könnte.
Hier ist der Journalist nicht mehr nur Redakteur für Print oder Audio oder Video, sondern für alle medialen Formen verantwortlich. Multimedial bereitet er Nachrichten, die er vor Ort recherchiert, mobil auf und verwertet sie über die verschiedenen Ausspielkanäle. Noch “live” vor Ort filmt er ein Video, das als Stream verbreitet wird und mit seinen Audio-Kommentaren unterlegt ist. Eine kurze Textschlagzeile wird direkt vom Standort verbreitet. Zurück in der Redaktion bereitet er den Fall als Textbeitrag auf, recherchiert Hintergründe und stellt Bezüge zu regionale Blogs und Berichten anderer Medien her. Online wird dieser Artikel permanent in enger Kooperation mit anderen Augenzeugen und Lesern überarbeitet und weiterentwickelt. In Sozialen Netzwerken wie Microbloggingdiensten verbreitet der Journalist den Bericht und holt weitere Meinung ein. In der gedruckten Zeitung erscheint am nächsten Tag ein finaler Report dieser Online-Diskussion. Dementsprechend höhere Anforderungen werden an die Kenntnisse des Journalisten gestellt; es zählen Flexibilität, Schnelligkeit und Mobilität. Der Journalist muss nicht mehr nur schreiben, kommentieren, filmen, sondern gleichzeitig bündeln, bewerten und seinen eigenen Bericht gegenüber den gleichberechtigten Nutzern vermarkten.

Damit der Wandel gelingt müssen natürlich auch die Journalisten umdenken und ihre Skepsis gegenüber den Neuen Medien ablegen. Ich bin der Meinung, dass sie das werden, denn die Alternativen sind Freiberuflichkeit, Gehaltskürzungen, final Entlassungen.

Es liegt an den Verlagen, den Wandel in der Krise wachzurütteln. Gerade jetzt ist der richtige Zeitpunkt, die Gedanken auch über die Jahresbilanz hinaus zu werfen und strategisch über die Zukunft der Zeitung in veränderten journalistischen Rahmenbedingungen nachzudenken. Und: Wenn sie es diesmal erneut verschlafen, Zeitungsperspektiven zu eröffnen, wird es vielleicht keine zweite Chance geben.

Update: Bei Turi2 erzählt Jan-Eric Peters, Gründungsdirektor der Axel Springer Akademie, in den ersten zwei Minuten des Beitrages ein paar Dinge zu den Herausforderungen an den crossmedialen Journalisten.

Zu erst veröffentlicht am 01. Dezember 2008, 11:21 Uhr auf Zeitungsperspektiven.de

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